Wir sind in den USA, im Nordwesten, in Oregon und Washington State, einer der natürlichen Standorte von Ribes aureum. Wie es zu dieser Reise kam? In diesem Sommer wurde ich vom Oregon Department of Agriculture zu einem Kongress und einwöchigen Aufenthalt in Portland eingeladen. Einfach so. Alles bezahlt, ohne Verpflichtungen. Sie wollten Fachleute aus dem Ausland einladen, auf dass sich vielleicht interessante Kontakte ergeben würden.
Und natürlich benutzte ich die Gelegenheit für eine kleine Rundreise. Ich fahre also durch Washington State, von Portland herkommend. Wunderschöne dichte Wälder auf der westlichen Seite der Cascaden, fast nackte Bergrücken auf der östlichen Seite. Am Radio habe ich schon am Vortag gehört, dass die riesigen Waldbrände in der Region Wenatchee?s nicht mehr unter Kontrolle sind. Die Seitenfenster runter: Riecht es schon nach Rauch? Ein paar Minuten später muss das Seitenfenster wieder runter: Davor steht ein Sheriff, der mich grimmig lächelnd fragt, warum ich ihn überholt habe, das erlebe er doch eher selten. Ich meine stotternd, ich hätte sein Fahrzeug den Forstbehörden zugeordnet. Nach Passkontrolle und einer geduldigen Erklärung der Tempolimits im Staate Washington, inklusive eindringlicher Ermahnung, lässt er mich weiterfahren. In Wenatchee dann eindeutig ein permanenter Geruch nach falscher Lagerfeuerromantik, und über dem Horizont hängt ein gelb-grauer Dunst, der nicht natürlich sein kann. Ich möchte Steve besuchen, einen Züchterkollegen, der wie wir mit den Vierbeeren®, den Ribes aureum, herumexperimentiert. Wir kennen uns nicht, und wir kennen uns doch. Wir lieben die gleichen Pflanzen, die gleichen Früchte. Nur kennt er sie besser als ich, sie sind hier heimisch. Schon auf der Herfahrt bin ich zweimal ausgestiegen, um an Bachrändern nach Vierbeeren Ausschau zu halten.
Seit zwei Tagen schon sind wir im intensiven, fast stündlichen Mailaustausch. Welche Strasse, wann? Und vor allem die neusten Lageberichte von der Feuerfront. Die Situation ist für Steve ziemlich brenzlig, in jedem Sinne des Wortes, das Feuer nähert sich seiner kleinen Stadt, er möchte auf jeden Fall Familie und Haus nicht verlassen. Auch eine Evakuation ist nicht auszuschliessen, andere Dörfer sind schon geräumt. Am Nachmittag verschieben wir den Besuch auf den nächsten Tag. Wenn irgend möglich, möchte ich seine Vierbeeren sehen, auch jetzt Ende August, wo sie nicht mehr sehr viel hergeben, möchte den Mann hinter den Pflanzen, hinter dem grossen Wissen (nicht nur über Ribes aureum) kennenlernen.
Am nächsten Tag dann der Schock: Genau auf der Strasse, die mich zu Steve führen würde, sind in der Nacht zwei Feuerwehrleute ums Leben gekommen, einen davon hat Steve gekannt. Ich sage den Besuch ab, fühle mich ein bisschen feige, aber Steve ist erleichtert. Trotz der existentiellen Bedrohung aber lässt ihn der Gedanke an die Pflanzen nicht los, er beschreibt mir nochmals, wo die Vierbeeren ihren Naturstandort haben in den gegen das Columbia Bassin auslaufenden Cascaden: «That Ribes aureum var. aureum (…) is found all along the stream bottoms in the country around Wenatchee and out to Quincy … around pothole lakes out in the Columbia basin». Auf der Heimfahrt finde ich dann einige Pflanzen, sie haben bereits die Blätter verloren, kein Wunder bei der herrschenden Trockenheit. Die Ribes aureum aber haben sich in den letzten paar Tausend Jahren daran gewöhnt und gehen ganz einfach frühzeitig in Winterruhe. So würden sie auch ein Feuer überleben.