Dass Lesya’s Grossmutter ziemlich clever ist, steht ausser Frage. Die Apothekerin und Gärtnerin weiss ganz genau, was sie tut, vorschreibt und verschreibt. Den leichten Zug ins Sadistische (Schwiegertochter!) mögen wir ihr gerne verzeihen, aber warum nur hat sie ihr Einzelenkelkind den Sanddorn mit der Manikürschere ernten lassen?
Lesya’s wie mit dem Vergrösserungsglas des Kinderauges erzählte Gartengeschichten haben es in sich. Jedenfalls ist mein gärtnerischer Ehrgeiz wieder einmal geweckt. Wie genau hat das wohl mit Kultur und Erntemethode im ukrainischen Garten funktioniert?
Gott sei Dank, nur ein einzelner, nicht sehr grosser Sanddornstrauch
Das ist nun wirklich ein Rätsel für den Gärtner in mir. Sanddorne sind nun mal zweihäusig, es gibt männliche und weibliche Pflanzen, sonst geht gar nichts! Eigentlich müssten da also – sorry Lesya – mindestens zwei Sanddornsträucher gestanden haben! Für das Rätsel gibt zwei mögliche Lösungen: Entweder stand ein männlicher Sanddorn irgendwo im Nachbargarten, um die Ecke, oder aber die Oma – wir trauen es ihr zu! – hat einen gärtnerischen Trick angewendet, den man auch heutigen Sanddorngärtnern nur empfehlen kann: Sie hat einfach eine weibliche und eine männliche Pflanze zusammengepflanzt, als ob es eine wäre. Und natürlich verlor sie kein Wort darüber. Warum auch? Musste Klein-Lesya auch gar nicht wissen? Darüber hinaus war ja Sex in der UDSSR ziemlich tabu, auch wenn es nur um Sanddorn Pflanzen ging. Und gegenüber dem Einzelenkelkind sowieso.
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Aber Sanddorn treibt doch ganz gerne Ausläufer, besetzt ungefragt immer mehr Gartenraum? Warum blieb es beim einzelnen, eher kleinen Strauch? – Wir können getrost davon ausgehen, dass die Oma ihren knappen und wertvollen Gartenplatz konsequent gegen den ausgreifenden Sanddorn verteidigte und alle Ausläufer immer wieder feinsäuberlich entfernte, den Sanddorn geduldig und nachhaltig in seine Schranken wies. Vielleicht, ja vielleicht hat sie sogar eine Rhizomsperre eingebaut, so dass die Wurzeln gar nicht ausbrechen konnten.
Stachlig, nein: stachelig!
Der botanische Besserwisser in mir kann?s natürlich nicht lassen: Der Sanddorn hat keine Stacheln, sondern Dornen. Umgekehrt hat die Rose nicht die sprichwörtlichen Dornen, sondern eben … Stacheln. Dornen sind unerwartet zugespitzte Sprosse, normal anmutende Triebteile, die aber nicht mehr weiterwachsen, sondern fein zugespitzt zu einem schnellen und giftigen Ende kommen. Stacheln sind keine normalen Organe der Pflanze, sondern zusätzliche, wohl zu Abwehr gebildete Verteidigungswaffen. Sie können daher meist auch relativ leicht abgestreift und entfernt werden. Dies im Gegensatz zu den Dornen.
Eins aber ist bei dieser babylonisch-botanischen Sprachverwirrung ganz sicher: Die Dornen (ja auch des Sanddorns) sind viel viel hinterfotziger als Stacheln, sie stechen, wenn man?s nicht erwartet. Manchmal könnte man meinen, sie würden fast aktiv zustechen. Bei Stacheln dagegen, da weiss man ja, was einen erwartet ?
Stachlig wäre also für die Dornen des Sanddorns eine viel zu harmlose, viel zu leicht über die Zunge gehende Bezeichnung. Klein-Lesya hat also gegen alle Botanik ganz Recht, wenn sie die Dornen als stachElig, aber eben nicht als stachlig bezeichnet. Wer einmal Sanddorn geerntet hat, weiss genau, was Lesya damit meint: Hinterhältig und aggressiv sind sie! Gut, wenn man dann zur Behandlung der Wunden gleich Sanddornöl zu Hand (ja zur Hand!) hat.
Der Vater und Sohn muss alle Äste mit Früchten abschneiden
Männer mussten immer schon die grobe Arbeit verrichten, den Frauen obliegt dann die Feinarbeit. Taktisch klug, wie Oma ganz sicher ist, wird sie damit so nebenbei auch den Sohn vor allzu viel Verletzungen geschützt haben. Bei der feinmotorischen Erntearbeit, die den weiblichen Familienmitgliedern näher liegen mag, beim Abtrennen der Beeren vom Ast, bietet sich den hinterlistigen Dornen viel mehr Möglichkeiten, zuzustechen!
In Tat und Wahrheit und jenseits der taktischen Finessen ist aber an der Erntemethode nichts Böses dran, sie ist bis heute, auch bei der industriellen Ernte, noch immer die beste und fast einzige Möglichkeit, an die so segensreichen Früchte (sozusagen per aspera ad astra) zu kommen! Oma hatte ganz einfach recht: Zuerst werden die Triebe geschnitten, dann die Beeren geerntet! Nur so geht es … einigermassen.
Man muss die Triebe schneiden, sonst bekommt man keine Beeren im nächsten Jahr
Hier – aber nur hier! – irrt entweder die Oma oder die Enkelin. Diese, eben als die beste beschriebene Erntemethode führt unweigerlich dazu, dass man nur jedes zweite Jahr eine volle Ernte einfahren kann. Sanddorn fruchtet an den letztjährigen Trieben. Und die müssen nach der Vollernte zuerst wieder ein Jahr nachwachsen, bevor sie blühen und fruchten und mann/frau zur Ernte schreiten kann. Unerschrockene Sanddorngärtner pflanzen deshalb gerne 3 Sträucher. Neben dem männlichen Befruchtersklaven zwei weibliche Pflanzen, die abwechslungsweise jedes Jahr abgeerntet und damit runtergeschnitten werden können … Ja auch mehr als zwei sind natürlich möglich und werden vom Männchen gerne bedient … aber das grenzt dann schon ganz gefährlich an gärtnerischen Masochismus. – Ich traue aber der gewitzten Oma und Apothekerin durchaus zu, dass sie dank der “effizienten”, auf jede einzelne Beere abzielenden Erntemethode und dank ihrer Konservierungstechnik und des Kellers nur jedes zweite Jahr Sanddornnachschub benötigte. Dass aber Klein-Lesya der nur alle zwei Jahre eintretende Ernstfall vorkam wie jedes Jahr, kann nur verwundern, wer noch nie Sanddorn geerntet hat!
Der Höhepunkt: die Nagelschere
Das ist wirklich der Gipfel! Mit der Manikürschere die Beeren von Stamm trennen und dann auch noch die am anderen Ende der Beeren hängengebliebenen vertrockneten Blütenblätter entfernen ? das grenzt an ? wir mögen es gar nicht aussprechen. Aber Oma wollte ganz einfach nicht den halben wertvollen Sanddornsaft schon bei der Ernte verlieren. Sie hatte ja nur einen Strauch und geerntet wurde – haben wir gerade gelernt – nur alle zwei Jahre. Die Arbeitskräfte waren ja da. Geselliges familiäres Beisammensein bei der Sanddornernte ?
Wieder hatte die Oma – wie könnte es anders sein – recht. Die Beerchen lassen nur ganz ungerne von den Ästchen ab und so wird heute vielfach empfohlen, die Fruchttriebe zuerst einzufrieren und dann erst – z.B. mit einer Gabel – vom Ast abzutrennen. Aber die dazu notwendige Kälte gab der vorbolschewistische Keller der Oma ganz sicher nicht her.
Kinderarbeit bei der Beerenernte
Ich kann nicht anders. Ich muss jetzt auch noch eine Geschichte erzählen. So wie ich heute gegenüber meinem Sohn voller Inbrunst und Überzeugungskraft die Tugend und die Wichtigkeit der Kinderarbeit im Garten (und in der Baumschule) preise, verteidige und manchmal auch durchsetze, so wurde natürlich auch ich in der urdemokratischen Schweiz zur Beerenernte gezwungen. Eine unendlich lange Reihe von riesigen Johannisbeersträuchern, weiss, rot und schwarz und weiss Gott für welche Farben noch, hinterm Haus, im Schatten, gut fürs Versteckenspielen, aber leider immer dann voll von reifen Früchten, wenn Sommerferien war. Und dann mussten wir die ganzen Ferien, jeden Tag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang diese nur mit sehr viel Zucker knapp geniessbaren Beerentrauben ernten und dann auch noch – das war die schlimmste Arbeit – abbeeren. Zugegeben, gegen Lesya’s Martyrium ist das gar nichts, Johannisbeeren haben auch Vorteile, nämlich keine Dornen, leider aber unendlich viele Beeren … Und die Fingerbeeren (der Name muss von genau dieser Arbeit hergeleitet sein!) werden beim stundenlangen Abbeeren von Johannisbeeren ganz eklig schrumpelig und rot und schwarz. Ich aber las damals gerade die Geschichten von HuckleBERRY Finn und Tom Sawyer.
Genauer die Geschichte mit dem neu und natürlich von den amerikanischen Lausbuben zu streichenden Zaun. Und so versuchte ich die Nachbarskinder mit glühenden Worten von der Schönheit der Beerensklavenarbeit zu überzeugen. Was könnte es Schöneres und Erholsameres und Sozialeres geben, als ?gemeinsam? zu ernten! Mit mässigem Erfolg. Manchmal aber gelang es mir, Brigitte vom Haus gegenüber zu begeistern. Immerhin. Dann konnte ich – meine Schwester und Brigitte waren ja gut beschäftigt – ganz und gar guten Gewissens abschleichen … und weiterlesen.